Parlamentswahlen in Afghanistan PDF Drucken E-Mail
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Parlamentswahlen in Afghanistan

Seit August 2010 sind Parlamentswahlen. Die regierende Partei mit Rassul Saif an der Spitze hat in der ersten Runde 89 Stimmen, die Opposition mit ihrem Kandidaten Moh. Jonus Qanouni 108 Stimmen erworben. Da im ersten Wahlgang keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit (50 plus 1) erreicht hat, ging die Wahl in die zweite Runde.

Auch diesmal konnten die Kandidaten keine Mehrheit erzielen, was zu einer dritten und letzten Wahlrunde führte, für die neue Kandidaten aufgestellt werden können. Die beiden Parteien stellten diesmal sehr, sehr viele Kandidaten (z.B. Saiaf und Qanouni) zur Wahl, sodass keiner eine Chance hatte, zu gewinnen. Dies bedeutet wiederum, dass eine neue Regierung gewählt werden muss und jeder eine neue Chance hat, als Präsident zu kandidieren.
Die Menschen in Kabul verfolgen die Wahlen mit einer gewissen Gelassenheit - nach dem Motto „,die da oben’ machen sowieso, was sie wollen und die Abgeordneten sind größtenteils korrupt“. Die Medien dagegen sind längst nicht so gelassen.

Von Menschen unterschiedlicher Schichten der Gesellschaft ist zu hören, dass kurz vor der Abstimmung Wahlzettel gekauft werden. Sie sagen auch, dass unmittelbar vor den Wahlen am meisten Schmiergelder gezahlt werden.
Ein kompetenter Kabul Weekly-Journalisten will erfahren haben, dass es sehr wohl Beweise für die Bestechung parteiloser Kandidaten bei den Parlamentswahlen gibt.

 

Alltag in Kabul

Die ersten Wahlen in Kabul fanden an einem Feiertag statt; ein Segen für die Einwohner, denn es gab kaum Autos auf den Straßen (man denke an die erstickende Kombination von Staub, Autoabgasen und sonstige Schadstoffen in der Luft). In Kabul herrscht ein totales Verkehrschaos – es gibt viel zu viele Fahrzeuge: Schätzungsweise 80 000 registrierte Taxis und insgesamt 500 000 Autos, dazu kommen noch Busse, Lastwagen, Motorräder und sonstige motorisierte selbstgebastelte Fahrzeuge, wie beispielsweise Rikschas und Generatoren. „Katalysator“ ist in Afghanistan noch ein Fremdwort.

 

In Kabul leben etwa 4,5 Millionen Menschen. Die Kapazität der Hauptstadt wäre aber schon mit rund 500 000 Einwohnern ausgeschöpft. Die derzeitige Einwohnerzahl in Kabul hat fatale Auswirkungen auf die Umwelt und Lebensbedingungen der Menschen. Kinder finden keinen Platz mehr zum Spielen. Mangelnde Infrastruktur, fehlende Kanalisation, Wasserknappheit (dieser Winter ist extrem trocken, es hat noch nicht geschneit oder geregnet, eine Dürre scheint unabwendbar) - für die Bevölkerung wird all dies katastrophale Folgen haben.

 

Gesundheitswesen

Vorwiegend Kinder und Greise leiden an verschiedensten Krankenheiten, die auf starke Luftverschmutzung und mangelnde Hygiene zurückzuführen sind. Die medizinische Versorgung ist schlecht. Menschen sterben auf dem Weg zum Spital, da durch das Verkehrschaos oft jede Hilfe zu spät kommt oder geeignete Mittel fehlen. Schwangere gebären auf dem Weg ins Krankenhaus. Ein Arzt mit einer relativ guten Reputation verlangt von den Patienten 100,- US Dollar, was für viele unerschwinglich ist.

 

Ethnische Minderheit

Betrachtet man aus westlicher Sicht die Tätigkeit der Einwohner im öffentlichen sowie im privaten Sektor, so stellt man fest, dass in Afghanistan sehr langsam wenn überhaupt gearbeitet wird.

Die Volksgruppe der Hazara bildet hier eine Ausnahme. Sowohl Kinder als auch Erwachsene schuften. Das ist nicht neu. Dass die Hazara während der Monarchie und später in der Republik stets die Unterprivilegierten waren und es zum Teil noch sind, ist kein neues Phänomen. Die Hazara konzentrieren sich auf wirtschaftliche Stärkung, entweder arbeiten sie oder gehen zur Schule.

 

Leben in Kabul/Afghanistan

Man sieht viele neue Privatschulen nach amerikanischem Muster. Dort werden Wirtschaftswissenschaften, Englisch, Bankwesen und beispielsweise Informationstechnologie gelehrt, während auf dem Land noch immer das landwirtschaftlichen Zeitalter herrscht. Fachkräfte im handwerklichen Bereich wie Schreiner, Maler und zum Beispiel Dachdecker gibt es nur selten.

In Kabul findet man alle erdenklichen Güter und Waren. Diese können sich aber nur wenige Privilegierte leisten. Die Gesellschaft ist vom Konsumdenken infiziert, es ist keine nachhaltige Entwicklung spürbar. Theoretisch und auch praktisch wäre eine Verbesserung der Lebensumstände für die Menschen in Kabul machbar. Doch der Stärkere hat das Sagen - die Machthaber stehen über dem Gesetz. Ein Minister oder General darf ganze Straßen oder Zonen der Stadt für sich in Anspruch nehmen und diese sperren. Selbst die Bewohner dieser Straßen müssen Umwege in Kauf nehmen.
Einziger Trost ist, dass die Menschen in Kabul froh sind, von den Taliban nicht verfolgt zu werden (in den Provinzen haben die Taliban längst die Kontrolle). Keiner will die Taliban zurück. Leider fehlen Alternativen. Die Menschen dulden all diese Misere und hoffen, von den Taliban und Al-Qaida nicht verfolgt zu werden.Einerseits ist man über die Präsenz der ausländischen Truppen froh, denn ohne sie würde das Land zum jetzigen Zeitpunkt in Anarchie verfallen. Andererseits sehen die Menschen die Befriedung des Landes nicht als Hauptziel der Truppen. Es bleibt der Bevölkerung nicht unvermittelt, dass auch eigene Ziele und Interessen verfolgt werden.

Was tun? Zum einen wäre die Einbindung der dem Volk vertrauten Personen in die Regierung von Vorteil, zum anderen die Implikation der Nachbarländer, vor allem Iran und Pakistan in Bezug auf Sicherheit und die Bekämpfung des Terrorismus.
Ob die Nachbarländer mit den Geberländern und den Vereinigten Staaten als Tonangeber tatsächlich am Aufbau Afghanistans interessiert wären oder ob sie ihre eigenen Ziele verfolgen, (was den Afghanen, wie die Geschichte beweist, im Verborgenen bleiben kann), bleibt offen.

 

F.A. Kabul den 03.02.2011